204
aber nicht, entweder weil die Kleider voll Wassers mich zurückzogen,
oder vielmehr weil Gott solches nicht haben wollte, daß ich da sterben
sollte. Denn wie ein trunkener Mann hin und her taumelt, also
auch ich und komme auf die andere Seite gegen den Hinteren Brau-
hof. Da sie nun merkten, ich würde im Zwinger aussteigen, laufen
sie in die Stadt und nehmen mehr Gesellen zu sich, passen unten bei
den Gerberhäusern auf, ob ich ihnen kommen würde. Aber als ich dieses
merkte, daß ich jetzo allein war, blieb ich im Wasser stecken und steckte
meinen Kopf unter einen dichten Weidenbusch und ruhte im Wasser
vier oder fünf Stunden, bis es Nacht und in der Nacht stille wurde.
Dann kroch ich halbtot heraus, konnte der Schläge wegen fast keinen
Atem holen. Ging dann über die Brunnenröhren, den Wasserfluß
immer hinab und kletterte über einen Weidenstamm, daß ich die andere
Seite erreichte."
Bötzinger rettete sich diesmal nach Koburg. Als er nach langen
Irrfahrten wieder zu seiner Familie kam, fand er „die Kinder schier
vor Hunger verdorben. Sie hatten die Zeit über nicht Kleie genug
kaufen können zu Brot."
Den Frieden erlebte Bötzinger als Pfarrer zu Heubach, wohin
er 1647 versetzt worden war, und wo er erst 1673 im vierundsiebzigsten
Jahre seines Lebens starb.
Richter, Quellenbuch.
92. Gustav Adolf als Feldherr.
Gustav Adolf war ohne Widerspruch der erste Feldherr seines
Jahrhunderts und der tapferste Soldat in seinem Heere, das er sich
selbst erst geschaffen hatte.
Ganz Deutschland hatte die Manneszucht bewundert, durch welche
sich die schwedischen Heere auf deutschem Boden in den ersten Zeiten
so rühmlich auszeichneten. Alle Ausschweifungen wurden aufs strengste
geahndet; am strengsten Gotteslästerung, Raub, Spiel und Duell. In
den schwedischen Kriegsgesetzen wurde die Mäßigkeit befohlen; auch er-
blickte man in dem schwedischen Lager, das Gezelt des Königs nicht
ausgenommen, weder Silber noch Gold. Das Auge des Feldherrn
wachte mit eben der Sorgfalt über die Sitten der Soldaten wie über
die kriegerische Tapferkeit. Jedes Regiment mußte zum Morgen- und
Abendgebet einen Kreis um seinen Prediger schließen und unter freiem
Himmel seine Andacht halten. In allem diesen war der Gesetzgeber
zugleich Muster. Eine ungekünstelte, lebendige Gottesfurcht erhöhte den
TM Hauptwörter (50): [T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Personennamen: Bötzinger Bötzinger Gustav_Adolf Gustav Adolf Gustav_Adolf Gustav Adolf
208
zogen über die Landesgrenze in andere Dörfer und entführten, was
sie bedurften. Sie lauerten den Nachzüglern der Regimenter in dichtem
Wald oder in Gebirgspässen auf und nahmen oft nach hartem Kampf
an dem Leben der Bezwungenen eine harte Rache, ja sie überboten
die Fertigkeit der Soldaten in Erfindung von Todesqualen. Es wird
nur wenige Waldhügel geben, in deren Schatten nicht greuliche Unthat
von solchen verübt ist, welche dort früher als friedliche Holzfäller und
Steinbrecher ihr kunstloses Lied gesungen hatten.
6. Nach Kräften suchten sich die Dörfer vor der Raubgier der
Soldaten zu wahren. Solange noch Geld aufzutreiben war, machten
sie Versuche, durch Zahlung einer Geldsumme an die vorausgefandten
Offiziere die Einquartierung abzukaufen. Auf die Kirchtürme und
hohen Punkte der Flur wurden Wachen gestellt, die ein Zeichen
gaben, wenn Truppen in der Ferne sichtbar wurden. Dann brachte
der Landmann, was er retten konnte, die Frauen und Kinder und
leicht bewegliche Habe, eilig in ein entferntes Versteck. Solche Ver-
stecke wurden mit großem Scharfsinn ausgesucht, durch Nachhilfe noch
unzugänglicher gemacht, und Wochen-, ja monatelang fristeten dort
die Flüchtlinge ihr angstvolles Dasein. Im schwarzen Moor zwischen
Gräben, Buchen und Erlengebüsch, in dunkler Waldschlucht, in alten
Lehmgruben und in verfallenem Mauerwerk suchten sie die letzte
Rettung. Waren die Soldaten abgezogen, dann kehrten die Flücht-
linge in ihre Häuser zurück und besserten notdürftig aus, was
verwüstet war. Nicht selten freilich fanden sie nur eine rauchende
Brandstätte.
7. Auch nicht alle, welche geflohen waren, kamen zurück zur
heimischen Flur. Das wilde Leben im Versteck und Walde, die rohe
Freude an Gewaltthat und Beute machte die Trotzigsten zu Räubern.
Mit rostigen Waffen versehen, führten sie unter den Fichten der Berge
ein gesetzloses Leben, als Gefährten des Wolfes und der Krähe, als
Wilddiebe und Wegelagerer.
8. So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit
reißender Schnelligkeit. Schon um 1632 waren manche Dörfer ganz
verlassen, und noch immer nahm das Unheil zu. Das schlecht bebaute
Land hatte schlechte Ernten gegeben, Teuerung und Hungersnot folgte,
und in den Jahren 1635 und 1636 ergriff eine Seuche, so schrecklich,
wie sie seit fast hundert Jahren in Deutschland nicht gewütet hatte,
die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam über das
ganze deutsche Land, über den Soldaten wie über den Bauern; die
Heere fielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch; viele Orte
TM Hauptwörter (50): [T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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246
So still, so ernst die Krieger all,
Kein Lachen und kein Spott —
Auf einmal tönt es durch die Nacht:
„Nun danket alle Gott!"
4. Der Alte, dems mit Macht entquoll,
Singts fort, doch nicht allein,
Kamraden um ihn her im Kreis,
Gleich stimmen sie mit ein.
Die Nachbarn treten zu, es wächst
Lawinengleich der Chor,
Und voller, immer voller steigt
Der Lobgesang empor.
5. Aus allen Zelten strömts, es reiht
Sich singend Schar an Schar,
Einfallen jetzt die Jäger, jetzt
Fällt ein auch der Husar.
Auch Mnsika will feiern nicht,
Zn reiner Harmonie
Lenkt Horn, Hobo und Klarinett
Die heilge Melodie.
6. Und stärker noch und lauter noch,
Es schwillt der Strom zum Meer;
Am Ende, wie aus einem Mund,
Singt rings das ganze Heer.
Im Echo donnernd widerhallts
Das aufgeweckte Thal,
Wie hundert Orgeln braust hinan
Zum Himmel der Choral. H. Besser.
106. Der alte Ziethen.
1. Joachim Hans von Ziethen,
Husaren-General,
Dem Feind die Stirne bieten
Thät er die hundert Mal.
Sie Habens all erfahren,
Wie er die Pelze wusch
Mit seinen Leibhusaren,
Der Ziethen aus dem Busch.
2. Hei! wie den Feind sie bleuten
Bei Lowositz und Prag,
Bei Liegnitz und bei Leuthen
Und weiter Schlag auf Schlag!
Bei Torgau, Tag der Ehre,
Ritt selbst der Fritz nach Haus;
Doch Ziethen sprach: „Ich kehre
Erst noch mein Schlachtfeld aus!"
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Extrahierte Personennamen: Mnsika Hobo Joachim_Hans_von_Ziethen Fritz
259
Noch waren seit dem Beginne des Unglücks nicht drei Stunden ver-
gangen, und schon hatten sämtliche Bewohner die Stadt verlassen müssen.
Ein Teil hatte die Hofwiese, ein anderer den Geiers-, ein dritter den
Galgenberg als Zufluchtsort aufgesucht. Rings herum standen die Ver-
triebenen, müßig, händeringend. Der Anblick der Verwüstung war zu
gräßlich, als daß die Unglücklichen durch Thränen und laute Klagen sich
Luft gemacht hätten; in dumpfer Betäubung schauten die meisten schweigend
in die immer höher auflodernde Glut. Nur auf dem Nikolaiberge stand
die St. Salvatorkirche mit ihrem blendend weißen, kaum erst vollendeten
Turme noch unversehrt da. Eben neigte sich die blutrote Sonne zum
Untergange. Da erfüllte gleichzeitig aus mehr als tausend Kehlen ein
lauter Schrei des Entsetzens die Luft, dann ward es still. Droben
brannte der St. Salvatorturm; nach einiger Zeit stürzte sein oberer Teil
auf das Kirchendach, zertrümmerte dasselbe und setzte im Nu die Kirche
bis in die Totengrüftc hinunter in Brand. Dies toar die letzte Beute,
welche vom Feuer erfaßt wurde.
Miißig sieht er seine Werke und bewundernd unter-
gehn.
Als die Nacht hereinbrach, leuchtete die Brandfackel der Stadt im
Thäte wie ein zweiter Tag. Das Rotgrau der Luft war in ein glühendes
Rot lungewandelt, das zuckend aus und nieder flammte. Außerhalb des
Thales war die Nacht finster, darum wurde die Feuerwolke in einem Um-
kreise von 12 Meilen gesehen. Weit nach Thüringen hinauf leuchtete der
Feuerschein, bis Rudolstadt lioch so hell, daß man auf der Saalbrücke mit
Bequemlichkeit Druckschrift lesen konnte. Weit über Leipzig hinein sah
man ihn ebenfalls und zwar so groß und glänzend, daß man meinte,
das Feuer lväre nur wenige Stunden entfernt.
Taghell ist die Nacht gelichtet.
Vor dem Ausbruche des Feuers zählte Gera 900 Gebäude, abge-
brannt waren 785. Im Innern der Stadt war ein einziges Haus ganz
unversehrt geblieben. Außer den Gartenhäusern und 33 Scheunen vor
dem Greizer-, Leumnitzer- und Bader-Gatter waren in den Vorstädten 81
meist kleine Gebäude verschont worden. An der Stelle der volkbelebten
Gassen mit ihren stattlichen Häusern zogen sich lange Reihen geschwärzten,
halb verfallenen Gemäuers hin. Hohe Schornsteine ragten in Menge aus
der allgemeinen Zerstörung empor, und die Ruinen der drei höchsten Türme
der Stadt überschauten die grauenvolle Verwüstung. Mehrere Tage nach
dem Brande stürzten hängende Mauern mit Donnergepolter zusammen,
und noch viele Wochen stiegen dunkle Rauchsäulen von der Brandstätte
17*
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T36: [Stadt Mauer Tag Dorf Haus Burg Land Bauer Feind Bürger], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Extrahierte Ortsnamen: Rudolstadt Gera Leumnitzer-
266
verteidigt, die der Stadt Gastfreundschaft genossen hatten. Von Haus zu
Haus springend, in der Hausflur die Gewehre ladend und auf den Feind
aus gedeckter Stellung feuernd, verkauften sie jeden Fuß breit Boden und
jeder sein Leben teuer. Als die Heinrichstadt von ihnen geräumt war,
wütete der Kampf in der Altstadt weiter. In den verschiedenen Straßen
derselben wurde Mann gegen Mann gerungen. Besonders blutig gings
auf der Roten Brücke, bei der Schwarzfarbe und in den: von der Sankt
Wolfgangskapelle zur Bergkirche führenden Hohlwege her.
Inzwischen war die französische Kavallerie von der Hofer Straße aus
mitten durch die Stadt über den Markt durch die Kobischgasse (jetzt Bahn-
hofstraße) nach der Holzmühle zu gezogen, um den linken Flügel der Ver-
bündeten anzugreifen oder zu umgehen. Ein überaus blutiger Empfang
wurde ihr von den auf der Höhe zwischen Öttersdorf und Löhma auf-
gestellten sächsischen Dragonern bereitet. Den Karabiner schußfertig an der
Backe erwarten sie die unter den: Befehl des Prinzen Murat anstürmenden
feindlichen Reiter. Auf 60 Schritte geben sie Feuer. Furchtbare Wirkung!
Der Feind geht zurück. Die sächsischen Dragoner mit geschwungenem Säbel
ihm nach, zwingen ihn, standzuhalten und zu kämpfen. Manch einer
von den Franzosen fiel unter den wuchtigen Streichen der sächsischen Reiter,
bei denen es überdies üblich war, den Hieb von unten herauf nachzuziehen
und den einmal Getroffenen vollends unschädlich zu machen. Es wird er-
zählt , daß Murat, der tollkühn als erster die Löhmaer Höhe erstürmt
hatte, von den Sachsen beinahe gefangen genommen worden wäre. Ein
Dragonerwachtmeister war den: Pferde des Prinzen bereits in die Zügel
gefallen. Der hart Bedrängte haut mit seinem Säbel den Sachsen quer
iibers Gesicht. Blutüberströmt und unfähig, aus einem Auge zu sehen,
wohl auch zun: Tode erschrocken, läßt der die Zügel los. Der Prinz
sprengt davon und ist gerettet. Schon nahen auch weitere französische
Infanterie- und Artillerieregimenter, deren Schnellfeuer und Kartätschen-
feuer furchtbare Verwüstung unter der sächsischen und der inzwischen her-
zugekommenen preußischen Kavallerie anrichtet. Ein sächsisches Regiment,
dessen Reiter rote Röcke mit schwarzen Aufschlügen hatten und vom Sieben-
jährigen Kriege her den Beinamen die „Fleischhacker" trugen, focht mit
Löwenmut und wich nur der schier erdrückenden Übermacht, hielt aber bis
zum nächsten Morgen dicht hinter Öttersdorf stand. In diesen: mörderischen
Feuer fiel der wackere sächsische Oberst von Hochheimer. Man trug den
zum Tode Getroffenen in das Pfarrhaus zu Öttersdorf. Dort verstarb
er bald im Arme des Pfarrers Walz. Fürst Heinrich Lxii. ließ ihm
später ein würdiges Grabdenkmal errichten.
Länger als die Kavallerie und Artillerie blieb die Infanterie beider
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Extrahierte Personennamen: Murat Walz Heinrich_Lxii Heinrich
269
Öttersdorf, wo 36 Häuser ein Raub der Flammen wurden. Feuer in
der Glücksmühle, Feuer in Lössau, Feuer in Wüstendittersdorf. Dazu die
vielen Lagerfeuer der biwakierenden Soldaten. Im Schloßhofe Küchen-,
Silber- und Bagagewagen, Heu, Stroh, Feuer, Menschen — alles durch-
einander. In den unteren Gängen des Schlosses Pferde und Soldaten.
Alle Zimmer des Schlosses besetzt. Meine Gebäude, Kirche, Schule und
Pfarrhaus nahm Fürst von Pontecorso in Schutz. In der Stadt Angst-
geschrei, Plünderungen und mancherlei Ausschreitungen, denen nicht sogleich
Einhalt geschah. So konnte es sich ereignen, daß in jener Nacht jeder-
mann den Kopf verlor und, da besonders die Ungelänfigkeit der Sprache
dazu kam, Mutlosigkeit, Schwäche und Abspannung allgemein wurden."
Der Feuernacht vorn 10. zum 11. Oktober folgten weitere Angsttage
und Schreckensnächte. Der Durchzug der großen Armee wollte kein Ende
nehmen. Gegen 300 000 Mann sollen innerhalb 8 Tagen durch die
Stadt gezogen sein. Wiederholt lag sie gedrückt voll Soldaten. Manches
Haus hatte mehrmals über 50 Mann Einquartierung. Um die Stadt
herum waren Feldlager. Die Vorräte an Speise und Trank waren er-
schöpft. Rindvieh, Schweine und Federvieh waren geraubt, die Keller leer.
Je weniger man den hungrigen, durstigen und müden Kriegern bieten
konnte, desto ungeduldiger und barbarischer wurden sie. Sie zankten sich
mit den ganz erschöpften Ratsherren herum und mißhandelten dieselben.
Der eine wurde infolge davon schwer krank, ein anderer schwermütig und
ging ins Wasser, ein dritter wahnsinnig, indem er sich für einen Posten
hielt, der nicht abgelöst wurde, ein vierter schwachsinnig. Eine Frau in
Wüstendittersdorf riß man mit ihrem eben geborenen Kinde aus dem Bette
heraus, durchsuchte das Bettstroh nach Geld und mißhandelte Frau und
Kind derart, daß sie beide eines „erbärmlichen Todes" starben. Alle
Keller, Gewölbe und Warenlager der Stadt waren aufgesprengt, alle ver-
schlossenen Behältnisse erbrochen. Am übelsten hatte die sogenannte Löffel-
garde gehaust, Lumpengesindel ans den Vorstädten von Paris und anderen
großen Städten Frankreichs mit einem Löffel auf dem Tschako.
Die Stadtkirche war ein Mehl-, Brot- und Fleischmagazin, die Nikolai-
kirche ein Massenqnartier, die Bergkirche ein Gefängnis für preußische Ge-
fangene und Verwundete, die Schule ein Lazarett.
„Ganz erschöpft und abgestumpft fand der 12. Oktober die Einwohner
von Schleiz. Es war Sonntag. Keine Glocke kündigte denselben an.
Heimlich aber und still versammelte sich eine fromme Gemeinde um 10 Uhr
in der Schloßkapelle. Reiche und Arme, Hohe und Niedere waren er-
schienen. Sie waren alle gekommen, den alleinigen Helfer in der Not in
gemeinsamem Gebet anzurufen, und gewiß keiner verließ ohne Segen diese
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Extrahierte Personennamen: Pontecorso Schleiz
Extrahierte Ortsnamen: Lössau Wüstendittersdorf Wüstendittersdorf Paris Frankreichs Nikolai-
311
Nach kurzem Verweilen besteigt der König seinen Wagen und fährt
langsam durch die dichtgedrängten, ihm zujubelnden Menschenmassen
nach seinem Palais. Orkanartig erdröhnt dort noch einmal ein hundert-
tausendstimmiges Hurra; der König spricht einige Worte des Dankes
von der Rampe aus, dann tritt er in sein Palais. Doch nicht lange
wird dem von der anstrengenden Fahrt ermüdeten Monarchen Ruhe
gegönnt; die Volksmenge umsteht noch immer den Palast und läßt
nicht nach, bis er sich aufs neue am Fenster zeigt. Da entblößen sich
rasch alle Häupter, und aus vieltausendstimmigem Chor braust die
Nationalhymne zu ihm hinauf, männlich, gewaltig und doch vor innerer
Erregung in Mannesthränen zitternd. Der Feuergeist von 1813 leuchtet
aus dem Gesang hervor. Nach dem Daheim.
136. Hurra, Germania!
1. Hurra, du stolzes, schönes Weib,
Hurra, Germania!
Wie kühn mit vorgebeugtem Leib
Am Rheine stehst du da!
Im vollen Brand der Juliglut
Wie ziehst du frisch dein Schwert!
Wie trittst du zornig frohgemut
Zum Schutz vor deinen Herd!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!
2. Du dachtest nicht an Kampf und Streit;
In Fried und Freud und Ruh
Auf deinen Feldern weit und breit
Die Ernte schnittest du.
Bei Sichelklang im Ährenkranz
Die Garben fuhrst du ein; —
Da plötzlich, horch, ein andrer Tanz!
Das Kriegshorn überm Rhein!
Hurra, hurra, hurra!
Hurra, Germania!
3. Da warfst die Sichel du ins Korn,
Den Ährenkranz dazu;
Da fuhrst du auf in hellem Zorn,
Tief atmend auf im Nu;
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316
138. Die Trompete von Vionville.
1. Sie haben Tod und Verderben gespien;
Wir haben es nicht gelitten.
Zwei Kolonnen Fussvolk, zwei Batterien,
Wir haben sie niedergeritten.
2. Die Säbel geschwungen, die Zäume verhängt,
Tief die Lanzen und hoch die Fahnen, —
So haben wir sie zusammengesprengt,
Kürassiere wir und Ulanen.
3. Doch ein Blutritt war es, ein Todesritt;
Wohl wichen sie unseren Hieben,
Doch von zwei Regimentern, was ritt und stritt,
Unser zweiter Mann ist geblieben.
4. Die Brust durchschossen, die Stirn zerklafft,
So lagen sie bleich auf dem Rasen,
In der Kraft, in der Jugend dahingerafft. —
Nun, Trompeter, zum Sammeln geblasen!
5. Und er nahm die Trompet, und er hauchte hinein,
Da — die mutig mit schmetterndem Grimme
Uns geführt in den herrlichen Kampf hinein,
Der Trompete versagte die Stimme !
6. Nur ein klanglos Wimmern, ein Schrei voll Schmerz,
Entquoll dem metallenen Munde;
Eine Kugel hatte durchlöchert ihr Erz,
Um die Toten klagte die wunde.
7. Um die Tapfern, die Treuen, die Wacht am Rhein,
Um die Brüder, die heut gefallen, —
Um sie alle, es ging uns durch Mark und Bein,
Erhub sie gebrochenes Lallen. 8
8. Und nun kam die Nacht, und wir ritten hindann;
Rundum die Wachtfeuer lohten;
Die Rosse schnoben, der Regen rann,
Und wir dachten der Toten, der Toten! Freiligrath.
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293
6. Die wilde Jagd und die deutsche Jagd
Auf Henkersblut und Tyrannen!
Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt!
Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,
Wenn wirs auch nur sterbend gewannen.
Und von Enkeln zu Enkeln sei's nachgesagt:
Das war Lützows wilde, verwegene Jagd.
Körner.
an -er Katzbach.
Und die Trompete schmettert,
Fest hält sie seine Hand,
Und wie ein Donner wettert
Viktoria in das Land.
Viktoria! — so klang es,
Viktoria! — überall,
Viktoria! — so drang es
Hervor mit Donnerschall.
Doch als es ausgeklungen,
Die Trompete setzt er ab;
Das Herz ist ihm zersprungen,
Vom Roß stürzt er herab.
Um ihn herum im Kreise
Hielts ganze Regiment;
Der Feldmarschall sprach leise:
„Das heißt ein selig End."
Mosen.
127. Bom Vater Blücher.
Blücher war von großer, schlanker Gestalt, von wohlgebildeten,
starken Gliedern. Sein ganzes Ansehen trug das Gepräge eines Kriegs-
helden ; Mut und Kühnheit leuchteten aus seinem ganzen Wesen hervor.
Seine unerschöpfliche Heiterkeit, seine anspruchslose, gutmütige Haltung
erwarben ihm überall Freunde. Seine Unerschrockenheit in gefährlichen
Lagen, seine Ausdauer im Unglück und sein in Schwierigkeiten wachsender
Mut gründeten sich auf das Bewußtsein seiner körperlichen Kraft, die
er in früheren Feldzügen im Handgemenge oft geübt hatte. Den Offi-
zieren seiner Umgebung schenkte er sein Zutrauen nur, wenn er sie für
unternehmend hielt, dann aber unbedingt. Es ist nicht zu leugnen, daß
126. Der Trompeter
1. Von Wunden ganz bedecket,
Der Trompeter sterbend ruht,
An der Katzbach hingestrecket;
Der Brust entströmt das Blut.
2. Brennt auch die Todeswunde,
Doch sterben kann er nicht,
Bis neue Siegeskunde
Zu seinen Ohren bricht.
3. Und wie er schmerzlich ringet ! 7.
In Todesängsten bang,
Zu ihm herüber dringet
Ein wohlbekannter Klang.
4. Das hebt ihn von der Erde,
Er streckt sich starr und wild;
Dort sitzt er auf dem Pferde
Als wie ein steinern Bild.
TM Hauptwörter (50): [T16: [Auge Kopf Körper Hand Haar Fuß Gesicht Blut Haut Brust], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T19: [Feind Pferd König Mann Soldat Reiter Uhr Wagen Kanone Offizier], T1: [König Held Herz Mann Volk Siegfried Land Lied Hand Tod], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T82: [Hand Pferd Schwert Fuß Schild Kopf Waffe Lanze Ritter Mann]]
TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T152: [Auge Haar Gesicht Nase Krankheit Körper Mensch Mund Ohr Kopf], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T185: [Jagd Viehzucht Bewohner Ackerbau Jäger Fischfang Wald Fischerei Krieg Land]]
323
richtete hier die barmherzige Schwester ihr Liebeswerk an den Schmerzens-
lagern, und ebenso still und eifrig walteten der Arzt und der Kranken-
wärter ihres Amtes. Alles ging stumm und mit leisem Flüstern durch
die heilige Stätte des Leidens.
Nur an jenem Tage wurde die Stille des Schlosses unterbrochen,
als hier inmitten der deutschen Fürsten und eines glänzenden Gefolges
in feierlicher Handlung König Wilhelm zum deutschen Kaiser ausgerufen
wurde. Es war am 18. Januar 1871, am Gedüchtnistage der Krönung
preußischer Könige.
Um 11 Uhr war das ganze militärische Versailles in lebhafter
Bewegung. Im Hofe des Schlosses waren Truppen aufgestellt. Gegen
600 Offiziere von allen Waffengattungen und im Schmucke ihrer
prächtigen Uniformen fanden sich ein und stiegen auf der großen
Prachttreppe des östlichen Schloßffügels hinan zu dem großen Spiegel-
saal, wo die bedeutungsvolle Feierlichkeit vor sich gehen sollte. Hier war
ein schlichter Altar errichtet, welcher mit einer rotsamtnen Decke bekleidet
und mit zwei goldnen Armleuchtern geschmückt war. Zu beiden Seiten
des Altars waren die Truppen verteilt, die von den einzelnen Ab-
teilungen zur Teilnahme an dieser Feier entsendet waren. An einer
Schmalseite des großen Saales aber standen auf einer Erhöhung die
Fahnen- und Standartenträger in voller Ausrüstung, welche die Feld-
zeichen hielten, die bis hierher die deutschen Truppen auf ihrem Sieges-
zuge geführt hatten. Dem Altar gegenüber waren Plätze freigelassen
für den König und die übrigen Fürstlichkeiten, während den ganzen
Raum an der Fensterseite des Saales die glänzende Versammlung der
Offiziere in dichtgedrängter Schar anfüllte.
Schlag 12 Uhr erschien der König, gefolgt von dem Kronprinzen
und sämtlichen Fürsten des Reiches, die hier um ihn sich versammelt
hatten. Nun begann die kirchliche Feier. Ein ans Soldaten gebildeter
Sängerchor sang unter Posaunenbegleitung: „Jauchzet dem Herrn, alle
Welt!" Hierauf hielt der Hofprediger Rogge aus Potsdam eine tief-
ergreifende Predigt über den 21. Psalm. Mit dein Schlußgebet und
dem von der ganzen Versammlung gesungenen Liede: „Nun danket
alle Gott!", das mächtig durch die weite Halle dahinbrauste, schloß die
kirchliche Feier. Der König erhob sich und schritt, gefolgt von den
Prinzen und allen Fürsten, auf die Erhöhung zu, wo die Fahnenträger
standen. Von hier aus verkündete der greise König mit fester Stimme,
daß er die ihm von Fürsten und Volk angebotene deutsche Kaiserwürde
annehme. Dann forderte er den Bundeskanzler auf, seine an das
deutsche Volk erlassene Bekanntmachung zu verlesen. Graf Bismarck
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